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Armut in der reichen Schweiz

Jahresthema 2018

10-07-2018
2018-Jahresthema-Surprise-Team Zürich
Helfen auf einem Bergbauerhof oder in einem Alters- und Pflegheim: Im Rahmen einer Sonderwoche engagierten sich die Lernenden des BWZ Rapperswil-Jona für armutsbetroffene Menschen in der Schweiz.

Armut in der reichen Schweiz? In einem Land, in dem man selten Obdachlose sieht und in dem doch für alle gesorgt ist? Mit Fragen wie diesen setzten sich die Lernenden des BWZ Rapperswil-Jona in der diesjährigen Sonderwoche anfangs Juli auseinander. Sie erfuhren unter anderem, dass laut Caritas Schweiz 145'000 Personen trotz Arbeit arm sind oder Personen über 65 Jahren überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind. Denn: «Jeweils in der Woche vor den Sommerferien lassen wir Schule Schule sein und investieren Zeit in Projekte», erklärt Schulleiter Werner Roggenkemper und führt aus: «Bewusst wählen wir jeweils ein Thema, das wichtig ist und über die Fachkompetenz aller Berufe hinausgeht, um auch Herz und Seele zu bilden.» Vor drei Jahren hatte das BWZ die Lernenden mit «Menschenrechte» auf die Problematik von Menschen auf der Flucht aufmerksam gemacht; in diesem Jahr stand darum «Menschenrechte – Menschenwürde: Armut in der Schweiz» im Mittelpunkt.

Eine etwas andere Stadtführung

Was Armut in der Schweiz bedeutet, erlebte eine Gruppe mit dem Verein Surprise, der seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz unterstützt, zum Beispiel durch den Verkauf der Zeitschrift «Surprise»: Sie machten eine etwas andere Führung durch Zürich. Die Surprise-Stadtführer und Stadtführerinnen erzählten aus ihrem Alltag und zeigten Orte, an denen man sonst achtlos vorübergeht und führten die angehenden Berufsleute in ihr öffentliches Wohnzimmer oder zum privaten Notschlafplatz. Andere Klassen erlebten in Rapperswil ein Forum-Theater. In dieser Spezialform des Theaters werden kurze Szenen zum Tabu-Thema Armut von den Schauspielern gespielt und anschliessend zur Diskussion gestellt: Ist das so im täglichen Leben? Oder müsste man das ganz anders spielen? Die Zuschauer wurden selber zum Schauspieler und spielten die gleiche Szene für sie stimmig.

Hilfe auf Bergbauernhof

Was Armut heisst, erfuhren auch acht Klassen hautnah auf zwei Bergbauernhöfen in Glarus Süd: Im Rahmen eines Tageseinsatzes zimmerten sie einen Zaun, sammelten Altholz ein, schichteten Bretter um oder jäteten Unkraut – eine ganz andere Tätigkeit als die, die sie aus ihrem Büroalltag kennen, wie die angehende Kauffrau Lejla Alic aus Rapperswil sagt. «Ich kann mir jetzt besser vorstellen, wie das Leben auf diesen Höfen ist und habe den Tag rundum positiv erlebt», so die 17-jährige weiter. Die Arbeiten im Rahmen des Projektes «Bergversetzer» kommen Bergbauern, Korporationen, Gemeinden oder Verkehrsvereinen zugute, die sich für die Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen im Berggebiet einsetzen. Das Engagement wirkt doppelt; einerseits sparen die Bergbauern viel Zeit, Mühe und meist auch Geld. Die Jugendlichen wiederum erhalten Einblick in das Leben der Bauernfamilien, stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl – mit dem guten Gefühl, gemeinsam eine sinnvolle Arbeit verrichtet zu haben.

Mithilfe in Alters- und Pflegheim

Gleichzeitig engagierten sich einige Lernende in einem Alters- und Pflegheim in Jona. «Wir wollten schon länger ein Projekt in einem Pflegheim realisieren, scheiterten aber an der nicht ganz einfachen Organisation», erklärt Werner Roggenkemper und führt aus: «Es braucht Fingerspitzengefühl, wenn man als Jugendlicher in einem ungewohnten Umfeld mithilft.» Umso mehr freuten ihn die durchwegs positiven Rückmeldungen, denn: «Das Echo war von allen Beteiligten sehr gut» konnte Einsatzleiter Clemens Horner bilanzieren und sagt weiter: «Mein Highlight: Besonders die zwei jungen Männer, die dabei waren, haben super mitgemacht, was durchaus nicht selbstverständlich ist. Ihnen wurde auch bewusst: Armut im Alter ist oft auch Beziehungsarmut.»

Ohne Frage: Eine Projektwoche für 600 Lernende durchzuführen, bedeutet einen hohen organisatorischen Aufwand und flexible Mitwirkung der Lehrpersonen und Ausbildungsbetriebe. Für Werner Roggenkemper ist klar: «Sieht man, wie die Einsätze die jungen Menschen berühren und ihren Horizont öffnen, war es jede Stunde Vorbereitung doppelt und dreifach wert.» Auch im nächsten Jahr geht es spannend weiter: Das Thema «Sport» wird im Fokus sehen.